Segelzeit von Wilfried Erdmann
Dieser Buchtitel ist vergriffen. Eine Neuauflage ist nicht geplant.
Bora Bora – Igarka – Lake Superior, USA – Langeland. Wie passt das alles zusammen? Bestens, wenn man das alles aus einem höchst persönlichen Blickwinkel betrachtet: Aus dem der Segellegende Wilfried Erdmann.
Mit „Segelzeit" legt Wilfried Erdmann eine Art Summe seines Abenteurlebens vor. Seit nunmehr über 40 Jahren ist er segelnd unterwegs, immer auf der Such nach dem prickelnden Kick und dann wieder unterwegs zu den lauschigsten Plätzchen der Erde. Und nie hat er es versäumt, seine Erlebnisse in packenden Berichten niederzuschreiben.
Sein neues Buch bietet für alle Erdmann-Freunde die Gelegenheit, noch einmal mit an Deck zu gehen. Expeditionsbericht, Reisebeschreibung, Bordtagebuch und Interview sind hier zu einer abwechslungsreichen Sammlung von Texten zusammengestellt, von denen jeder auf seine Art den Leser in den Bann zieht. Ob eine Solo-Überquerung des Atlantik, ein Wintertrip nach Sibirien oder ein Törn durch die „dänische Südsee": Praller können die Erinnerungen an ein Seglerleben kaum sein. Wilfried Erdmanns Wagemut begnügte sich nicht bloß mit navigatorischen Herausforderungen. Sein Engagement galt auch der Natur und den Menschen, die durch die französischen Atomwaffentests im Pazifik tödlichen Gefahren ausgesetzt wurden. Verhindern konnte der die Versuche freilich nicht.
Genau in der Mitte des Bandes steht ein Text, der aus einer anderen Feder stammt: Die Aufzeichnungen der Lebens- und Yachtpartnerin Astrid Erdmann, hübsch betitelt mit „Frau in Meereslandschaft". Wer so ausgiebig die Meere und Seen der Erde befahren hat wie Wilfried Erdmann, für den ordnet sich die Welt auf eine ganz eigene Weise. Und so bildet den Abschluss dieses reich bebilderten Buches das „Erdmann-Alphabet".
Wilfried Erdmann
Segelzeit
296 Seiten, 89 Farb- und 8 S/W-Fotos, 11 Karten,
Format 14,2 x 21,5 cm, gebunden mit Schutzumschlag
Euro (D) 22,90 / Euro (A) 23,60 / sFr 39,90
ISBN 3-7688-1852-7 / ISBN 978-3-7688-1852-0 (ab 1. Januar 2007)
Delius Klasing Verlag, Bielefeld
eilunh.de schreibt zu "Segelzeit"
Von Bora-Bora nach Nordfriesland
Sein Seglerleben hatte Wilfried Erdmann sich anders vorgestellt: „Für dieses Segel-Leben hatte ich mir drei Jahre Zeit genommen. Dass daraus 40 werden könnten, weil mir die Aufgabe Spaß machte und man davon leben konnte, hätte ich 1966 nie gedacht."
In Segelzeit beschreibt Wilfried Erdmann nicht die langen Seetörns, sondern die Segelreisen „dazwischen". „Denn es gibt, auch wenn es manchmal nur kurze Fahrten waren, keine Segelzeit, in der nichts geschieht."
Was erwartet mich in seinem Buch? Seine Vorbemerkungen deuten es an: Selbstauskünfte, veröffentlichte und unveröffentlichte Reportagen, Betrachtungen zum Meer, Erinnerungen, Informationen – Chartersegeln, Jollensegeln, Sturmsegeln, Frauen an Bord, die Veränderungen in der Branche. Er hat in vierzig Jahren vieles erlebt, und er macht Reklame für das Segeln als Sport und insbesondere fürs Fahrtensegeln. Und immer wieder schildert er persönliche Eindrücke und Meinungen – ganz ehrlich. Nie scheut er sich davor.
Chronologie wird langweilig, so Erdmann. So fange ich mitten im Buch an. „Friesisch herb", so der Titel des Kapitels - er beschreibt den Törn mit seiner Hansa-Jolle „Kathena Gunilla" durchs Nordfriesische Wattenmeer im Sommer 2005. Das interessiert mich natürlich als Friesin, das kann ich beurteilen. Und ich bin gespannt, ob Wilfried Erdmann es schafft, die Eigenarten und Besonderheiten des Segelreviers Nordfriesisches Wattenmeer einzufangen.
Nordstrand, Pellworm, Nordstrandischmoor, Gröde, im Juni mit einstelligen Lufttemperaturen, einer im Schlick versinkenden „Kathena Gunilla", Tidenstrom, und immer wieder starker Nordwest, der ihn zwingt, im Hafen zu bleiben. Gedanken darüber, ob das Fenderbrett richtig platziert ist, oder ob der Schlammboden unterm Boot frei von Steinen ist. „Schaue ich in die Seekarten und Handbücher, sieht man dem Gebiet diese Probleme an: Priele, Buhnen, Wattenhochs, keine geschützten Buchten, wenige Häfen." Wilfried Erdmann berichtet neben den navigatorischen Eigenarten über sehenswerte Landschaften, eigensinnige Bewohner und die Besonderheiten des Wattenmeeres. Immer wieder auch seine Gedanken: „Kein Mensch, kein Boot , nichts besucht uns. Das Wasser läuft sogar ganz weg. Der Himmel ist düster. Nichts für Melancholiker." Ein ganz normaler Hafentag auf der Hallig Oland.
Erdmann kommt nach Langeneß: Er ist Gastlieger Nr. 11, Liegegeld kostet 2,86 Euro. Der Hafenmeister und pensionierter Seemann auf großer Fahrt Tüge Petersen scheint einem Roman Joseph Conrads entstiegen. Aus Joghurtbechern trinken die beiden Gin mit Bitter Lemon, er beschreibt den Blick auf den unglaublichsten Steg Deutschlands – ein Tisch, eine Bank, eine Dusche im Freien. Wo gibt es das noch? Er kommt mit Halligbewohnern zusammen, die ihm viel erzählen aus ihrem Leben und nie mit einem anderen Leben tauschen würden, obwohl es manchmal hart und ungemütlich zugeht auf den Halligen.
Ganz gespannt bin ich auf seinen Aufenthalt in Wyk auf Föhr – min eilunh Fehr (friesisch: meine Insel Föhr). Alte Bekannte treffe ich wieder. Sein Freund Arfst Wagner (Anm.: mit Arfst – wir nannten ihn „Arfie" - habe ich die Schulbank gedrückt) gab ihm Tipps für den Aufenthalt auf Föhr. Klaus-Otto in der Kneipe „Glaube – Liebe – Hoffnung" musste er grüßen, und Britta im Duus-Hotel und Horst im Irish Pub. Föhr scheint ihm aber doch nicht so gefallen zu haben. „Heißt: Museen, 2,50 Euro Kurtaxe, Würstchenstände, Strandkörbe."
Seine Reise geht weiter nach Sylt, Amrum, Hallig Hooge. Er trifft Solosegler Palm, der sich nach Norwegen aufmacht und ordentlich Gegenwind hat, aber optimistisch ist, weil er Rasmus auf seiner Seite hat. „Ich habe immer ordentlich gespendet, auch auf meinen Dampfern, immer einen Schluck nach Luv, nach Lee geht bekanntlich der Schiet über Bord." Auch hat Erdmann Grundberührung, ganz alltäglich in dem Revier, bei auflaufendem Wasser kein Vergnügen, aber auch nicht bei ablaufendem Wasser, wie ich aus eigener Erfahrung weiß.
Wehmütig nimmt er schließlich Abschied von den Nordfriesischen Inseln: „Die Koordinaten des Reviers sind: der Menschenschlag, deren Respekt, die darbende Natur und wieder die Menschen. Adieu auch allen gefährlichen Untiefen: Kolumbusloch, Rochelsteert, Fliegenplate, Rummelloch, Moorsteert, Schweinsrücken." Adieu auch „der Bibel des Nordfriesen", dem Tidenkalender, der einen auch schon mal zwingt um drei oder vier Uhr aufzustehen und in aller Frühe abzulegen.
Wilfried Erdmann hat mich an Bord geholt. Und das tut er auch in den anderen Kapiteln des Buches. Ob es nach Bora-Bora geht oder nach Korsika oder in die Einsamkeit des nordamerikanischen Lake Superior oder in die „großartige und heiße" Dänische Südsee, er schafft es immer, die Stimmungen des jeweiligen Reviers einzufangen. Holland, Sibirien, Muroruroa – weitere fremde Landschaften und Erlebnisse.
Anlässlich des 50-jährigen „Stern"-Jubiläums bekommt er die Gelegenheit auf der Motoryacht „Starship" 4300 Seemeilen mitzufahren. „Und das Beiboot hat mehr Elektronik als alle meine Boote zusammen." „Endlose Tage, grenzenloser Horizont. In der monotonen Bordroutine von Wachen und Freiwachen verliert sich das Gefühl für Raum und Zeit." Ganz anders dann ein Törn mit der berühmten „Joshua", dem 12 Meter langen als Ketsch getakelten Spitzgatter aus den 60er Jahren von Bernhard Moitessier (gest. 1994). Ein Exkurs über moderne Segelyachten, die nichts entfachen – er meint Zauber, Staunen, Verführung („Der Sündenfall sind elektrische Winschen."). Ganz im Gegensatz zu „Joshuas" Magie: aufgeschweißte Augbolzen als Holepunkte an Deck, ein angehängtes Ruderblatt mit Pinne, Backstagen, die über eine Talje dichtgeholt werden, Blöcke, Schäkel und Bändsel über dem Kartentisch.
Auf alle Fälle ist es auch ein Buch für Frauen. Ein großartiges Kapitel widmet er seiner Schwiegermutter, der segelnden Düsseldorferin Ingeborg von Heister, die allein auf einem 10,70 Meter langen Trimaran über den Atlantik zu den karibischen Inseln und zurück segelte. Nacherzählt wird diese Leistung anhand eines Manuskriptes und von Logbucheintragungen von Ingeborg von Heister. Ihre seglerische Karriere war für die 50er Jahre einmalig.
Wilfried Erdmanns Frau Astrid kommt in dem Kapitel „Frau in Meereslandschaft" zu Wort, gibt ihre Sicht wieder – nicht immer der Himmel auf Erden, sie etwas weniger euphorisch, aber auch bei ihr wird die Liebe zum Segelsport und dem Fahrtensegeln deutlich. Segeln mit Partner – auch nicht immer ein Vergnügen. „Fahrtensegeln zu zweit ist eine feine Sache. Gewiss. Nur, wenn es den Frauen nicht gefällt, haben meist die Männer Schuld. Auslöser sind oft die zu hohen Erwartungen. Fehler bei der Einweisung, beim ersten An-Bord-Kommen. Ungeduld oder schlichtweg penetrante Besserwisserei." Wohl wahr!
Auch die Gestaltung von Kym Erdmann gefällt, gut lesbar, schönes Layout, gute Papierqualität, exzellente Fotos und Skizzen – das Buch sogar mit Lesebändchen. Alles in allem – ein interessantes und spannendes Buch mit sehr viel (Lebens)Weisheiten. Ich hoffe aber, dass Wilfried Erdmann vom „Alterswerk" noch weit entfernt ist.
(Renate Lorenzen / 28. September 2006)