Eine Woche auf der Ekke Nekkepen – ein ganz persönlicher Törnbericht
Wenn wir heute an Bord gehen, sei es für einen längeren Törn oder auch nur für ein paar Tage, müssen wir zu Hause alles erledigt und geregelt haben, denn sobald wir einen Fuss auf unser Schiff gesetzt haben, ist alles vergessen, was sonst von Bedeutung ist. Probleme werden ganz klein und sind am nächsten Tag schon vergessen. Mit der ersten Sekunde an Bord fängt die Entspannung an. Doch das ist nicht immer so gewesen.
So hat alles angefangen
Sammeln der Zugvögel zum Flug gen Süden (am Campingplatz)Im Jahr 1997 machten wir – mein Mann und ich - Urlaub auf einem Campingplatz in Goltoft an der Schlei. Damals hatten wir noch nie etwas von Wilfried Erdmann oder Ellen McArthur gehört. Wir ahnten nicht, dass es Menschen gibt, die allein auf einer Segelyacht um die Welt fahren, und dass diese Art des Reisens auch glücklich enden kann.
Wir konnten von unserem Wohnwagen aus auf die Schlei herabsehen, auf der unter uns die unterschiedlichen Boote vorüber zogen. Jeden Morgen genossen wir bei frischen Brötchen den schönen Panoramablick. Vor uns lag die Halbinsel Königsburg, an deren hölzernem Anleger ein Segelkutter festgemacht hatte. Weiter links entdeckten wir eine kleine Insel - die Liebesinsel. Ein kleines Fischerboot warf dort seine Netze aus.
Nach einigen Tagen wurden wir neugieriger. Vielleicht war der Auslöser die Langeweile, die sich inzwischen ankündigte. Mit unseren Fahrrädern hatten wir die Umgebung erkundet und alles fotografiert, was sich als Motiv angeboten hat. Wir fragten uns, wo die Boote hinfuhren, warum am Freitag abend die eine Richtung bevorzugt wurde, und warum am Sonntag abend alles in die entgegengesetzte Richtung fuhr.
Wir beobachteten einen jungen Segler, der tagtäglich vom Campingplatz aus seine Segeljolle zu Wasser brachte, und für Stunden nicht zu sehen war. Ich weiss noch, wie ich ihn beneidet habe. Wir unternahmen einen vergeblichen Versuch, Kontakt zu ihm aufzunehmen, was aber nicht gelang. Die restliche Zeit des Urlaubs entdeckten wir von Land aus die umliegenden Häfen – Maasholm, Kappeln, Arnis, Missunde, Schleswig und, und, und. Sogar Wackerballig und Langballigau besuchten wir.
Am Ende des Urlaubs stand für mich fest: Ich will segeln lernen! Ich konnte meinen Mann überzeugen, auch er war angetan von der Möglichkeit, etwas Neues, Interessantes zu beginnen. Wir ahnten damals noch nicht, wie dieser Entschluss unser Leben verändern würde.
Du kannst nicht auf das Meer hinausfahren, indem du nur auf das Wasser starrst.
(Rabindranath Tagore, indischer Poet und Nobelpreisträger)
Wir kamen nach Hause und hatten Bedenken, dass wir unser Vorhaben vergessen könnten. Also meldeten wir uns umgehend für den Sportbootführerschein und Segelführerschein BR bei der Segelschule Frank Lochte in Lüneburg an. Wir hatten nicht erwartet, die Scheine in Lüneburg machen zu können. Der Winter verging mit dem Erlernen des theoretischen Stoffes und viel Prüfungsstress. Im Frühjahr 1998 hatten wir zwei theoretische Prüfungen und eine praktische Prüfung abgelegt. Uns fehlte noch die praktische Prüfung zum BR-Schein. Wir hatten jedoch zuvor die erforderlichen Seemeilen nachzuweisen.
Die sollten wir dann im April auf einem Ausbildungstörn erwerben, zum Abschluss des Törns war die praktische Prüfung geplant. Zu diesem Zweck sollte ein Prüfer an Bord kommen und die Prüfung abnehmen.
1. Tag – Landgang in Travemünde
Mitte April geht es los. Wir haben unsere Hunde bei meiner Schwester abgegeben und fahren also nach Travemünde. Am späten Vormittag sollen wir uns in der Marina Baltica auf dem Steg vor der „Ekke Nekkepen“ treffen. Wir sind gespannt. Wer wird uns begleiten, wie wird das Leben an Bord sein? Wie wird der Skipper sein? Eine nicht ganz unwichtige Frage.Manövertraining auf der TraveDie Ekke Nekkepen ist eine Hallberg Rassy, 29 Fuss gross. Der Name lässt mich an meine Heimat denken. Ekke Nekkepen ist eine Sagengestalt – ein Meermann oder Nix, der sich in den Tiefen und Prielen um die nordfriesischen Inseln aufhält.
Ausser uns sind zwei weitere Mitsegler da, Thomas I und Thomas II. Unser Gepäck türmt sich auf dem Steg. Frank erklärt, dass der Skipper krank geworden sei und uns eine Skipperin begleiten wird. Ich sehe meinem Mann an, dass er nicht unbedingt begeistert ist, ganz im Gegensatz zu mir. Sein Vertrauen in segelnde Frauen ist zu der Zeit noch nicht sehr ausgeprägt. Ich bin jedoch froh, nicht die einzige Frau an Bord zu sein.
Jenny kommt an Bord und erklärt uns das Schiff inklusive der Sicherheitseinrichtungen. Wir durchforsten das Boot vom Heck zum Bug. Seeventile, Bilge, Funkgerät, Motor, Luken, Rettungswesten, Winschen, Seereling, Rettungsboje, Druckwasserpumpe – ich kann mir nicht alles merken, gebe das aber vor den anderen nicht zu. Mein Mann und ich erhalten die Koje im Bug, Jenny die Hundekoje und Thomas I und II die Salonkojen. Nachdem wir unsere Sachen eingeräumt und den Proviant überprüft haben, gehen wir einkaufen, um die fehlenden Lebensmittel und Getränke zu besorgen.
Inzwischen ist es Abend geworden, und wir verspüren Hunger. In Travemünde finden wir eine Pizzeria, die zwar sehr überfüllt ist, dafür aber einen herrlichen Blick über die Trave bietet. Die Trave liegt vor uns mit den vielen bunten Lichtern, die sich im Wasser spiegeln. Wir beobachten die riesigen, hell erleuchteten Skandinavienfähren, die ein- und auslaufen. Auch die Priwallfähre kreuzt noch die Trave. Ich mache mir kurz Gedanken darüber, wie wir morgen durch dieses Durcheinander auf die Ostsee gelangen werden. Das zweite Bier, das auf den Tisch kommt, lässt mich aber schliesslich entspannen. Wir lernen uns kennen und finden uns sympathisch. Das ist ein guter Start.
Ich schlafe diese erste Nacht an Bord ganz wunderbar. Die Schraubengeräusche der Fähren, die ganz leise zu hören sind, lassen mich gleich einschlafen. Die Enge, die ich anfangs wahrgenommen habe, weicht der Nähe. Ich bin nur einmal kurz wach. Ich höre, wie mein Mann durch die vordere Luke das Schiff verlässt, um die anderen nicht zu wecken. Ich nehme noch wahr, wie er sich eine Zigarette anzündet und über den Steg in Richtung Land geht. Bald bin ich wieder eingeschlafen.
2. Tag – Wir laufen Grömitz an
Der Morgen fängt mit dem Gang zu den Sanitäranlagen an, was für meinen Mann und mich jedoch nichts Neues ist. Das kennen wir vom Camping. Thomas II, als Frühaufsteher, ist bereits unterwegs, um frische Brötchen zu besorgen. Inzwischen wird der Wetterbericht über UKW eingeholt. Der Wetterbericht verspricht einen ruhigen Törn. Ziel ist Grömitz. Wir zeichnen Kurse in die Karte und sehen uns die geplante Route an. Nach einem ausgiebigen Frühstück wird aufgeklart. Gegen ca. 11:00 Uhr sind wir fertig zum Auslaufen. Jenny verteilt Aufgaben an jeden, wir besprechen ausgiebig das Ablegemanöver. Ich habe die Fender nach dem Ablegen einzuholen und zu verstauen. Zwei sind mit den Vorder- und Achterleinen beschäftigt. Der letzte hat die Aufgabe, unser Schiff von den anderen abzuhalten. Jenny steht an der Pinne. Mir ist unklar, wie man ein Ablegemanöver zu zweit oder sogar alleine bewältigen kann. Jenny erzählt mir später, dass sie am Wochenende zuvor mit ihrer Schwester bei Starkwind ab- und angelegt hat, ohne Motor, allein nur mit Hilfe von Leinen.
Wir bugsieren also das Schiff durch die enge Box, weiter durch die enge Passage zwischen den Stegen auf die Trave hinaus. Mein Mann muss jetzt die Pinne nehmen und die „Ekke Nekkepen“ über die Trave auf die Ostsee steuern. Er ist aufgeregt und pfeift leise vor sich hin. Er weiss zu diesem Zeitpunkt noch nicht, das Pfeifen an Bord verboten ist, denn lautes Pfeifen ärgert die Geister und auch den Klabautermann, und der kann bekanntermassen den Seeleuten das Leben schwer machen. Auch heisst es, dass Pfeifen Wind und Sturm heranholt. Die Skandinavienfähren fahren an uns vorbei. Die Priwallfähre quert das Fahrwasser. Jenny ermutigt meinen Mann, Kurs und Geschwindigkeit zu halten. An Steuerbord passieren wir den Liegeplatz der Passat. Vorbei an dem schwarzweissen Leuchtturm auf der Nordmole fahren wir hinaus auf die Ostsee.
Jetzt fängt die Arbeit an. Als erstes lernen wir, die Segel zu setzen. Als Gross- und Vorsegel oben sind, wird der Motor ausgemacht. Sofort fällt die beeindruckende Ruhe auf. Dieser Moment fasziniert mich auch heute immer noch. Wir lernen die unterschiedlichen Segelmanöver kennen – Wenden, Halsen, Kreuzen, Beidrehen, Beiliegen und nicht zuletzt das Boje-über-Bord-Manöver. Nach einiger Zeit dürfen wir uns ausruhen - das heisst, genau eine Zigarettenlänge lang. Jenny zeigt uns dann die Reffeinrichtungen, sowie das Reffen und Ausreffen des Segels. Auch das dürfen wir dann mehrmals ausprobieren. Danach gibt es wieder eine Zigarettenpause.
Wir fahren über die Neustädter Bucht. Die Küste mit dem Turm von Pelzerhaken ist gut zu sehen. Ich merke, wie es mich beruhigt, dass ich das Land sehen kann. Ich sitze auf der Leeseite und der Zigarettenrauch erreicht meine Nase. Eine ganz geringe Dünung bewegt unser Schiff, im nächsten Moment schon verspüre ich eine leichte Übelkeit. Kaum ist sie aufgetreten, spricht Jenny mich auch schon an:
„Komm, gehe an die Pinne. Jetzt bist du dran.“
„Ich kann das nicht.“
„Doch du kannst.“
Ich setze mich an die Pinne und versuche, zu steuern. Die „Ekke Nekkepen“ fährt nach links, die Segel schlagen. Die Mitsegler versuchen durch Dichtholen und Rauslassen des Segels, meine gesteuerten Kurse zu korrigieren. Nach einiger Zeit schaffe ich es, die „Ekke Nekkepen“ leidlich geradeaus zu steuern. Dabei habe ich noch nicht auf den Kurs geachtet. Ich schaue auf den Kompass, aber er gibt mir keinerlei Information, die ich verwerten kann. Aber ich verspüre keine Übelkeit mehr.
Am späten Nachmittag laufen wir in Grömitz ein. Vor dem Einlaufen in den Hafen haben wir gelernt, das Segel zu bergen und aufzutuchen. Das Anlegemanöver ist ausgiebig besprochen. Die Aufgaben sind verteilt. Ein Liegeplatzproblem gibt es im April noch nicht. Trotzdem bemerke ich bei allen die leichte Skepsis, ob das Anlegemanöver gelingen wird. Thomas I versucht vom Bug aus, Jenny beizustehen, aber sie meistert das Anlegemanöver ganz souverän. Thomas II und mein Mann legen die Achterleinen über die Heckpfähle, Thomas I springt auf den Steg und macht die Vorderleinen fest. Ich kümmere mich um die Fender.
Nachdem alle Arbeiten erledigt sind, setzen wir uns und ziehen Resümee. Dazu lernen wir eine neue „Bordsitte“ kennen – es gibt ein „Einlaufbier“. Wir merken, wie müde ein Tag auf See macht, und erinnern uns, dass jemand gesagt hat, ein Tag auf See wäre wie drei Urlaubstage an Land. Wir haben alle den Eindruck, bereits mehrere Tage unterwegs zu sein. Alle sonstigen Sorgen und Probleme sind vergessen. Eine gewisse Euphorie breitet sich aus.
Da keiner Lust hat, das Essen zu machen, beschliessen wir, auch heute wieder essen zu gehen. Ich habe seit dem Frühstück nicht viel gegessen, meint Magen knurrt. Beim Hafenmeister zahlen wir die Hafengebühr und machen uns auf Restaurantsuche. Von Grömitz sehen wir heute die Promenade und den Hafen. Nach dem Essen gehen alle in die Koje, der eine oder andere liest noch, ich schlafe sofort ein.
3. Tag: Nach Fehmarn
Ankunft in Burgtiefe auf FehmarnAuch an diesem Tag sehen wir nicht viel von Grömitz. Wir bereiten alles zum Ablegen vor. Die meisten Handgriffe sitzen bereits. Unser neues Ziel wird Burgtiefe auf Fehmarn sein. Das Ablegemanöver gelingt, beim Auslaufen durch die Hafeneinfahrt bemerke ich eine bisher nicht gekannte positive Stimmung, die mich auf allen späteren Segeltörns begleiten wird. Eine gewisse Aufgeregtheit über das Ungewisse kommt dazu.
Wir ziehen das Segel hoch und gehen nochmals die unterschiedlichen Instrumente durch - die Logge, das Echolot, den Windanzeiger, den Kompass. Vor Grömitz üben wir weitere Boje-über-Bord-Manöver, bevor wir uns nach Burgtiefe aufmachen. Windstärke 3-4 aus West, genau der richtige Wind für mich, die anderen können mehr vertragen. Wir lernen mit Hilfe des Kompasses den richtigen Kurs zu fahren, was mir grosse Probleme bereitet. Es dauert lange, bis ich das umgesetzt habe. Meine Mitsegler scheinen das schon immer gekonnt zu haben. Ein wenig Neid kommt auf bei mir, ich bin demotiviert. Ich ziehe mich zurück und geniesse den Ausblick.
Die Küste liegt in einiger Entfernung, wir fahren am Großenbroder Binnensee vorbei. Ich sehe einen monströsen Turm und erfahre, dass es sich um einen Radarturm der Bundeswehr handelt. Die Schornsteine einer Chemiefabrik sind weitere auffällige Landmarken. Die Strandpromenade von Großenbrode ist in einiger Entfernung zu sehen. Ich geniesse den Ausblick, später ist an Backbord die Fehmarnsundbrücke zu sehen. Ich blicke nach vorne und sehe die weissen Hochhäuser von Burgtiefe. Wir haben eine ganz klare Sicht.
Ich freue mich auf das „Einlaufbier“. Die Freude wird jedoch von der noch bevorstehenden Arbeit getrübt. Meine Motivation hält sich heute in Grenzen. Ich sehne mich nach etwas Ruhe, habe den Wunsch, alleine zu sein. Gegen 16:00 Uhr laufen wir ein. Der Hafen ist leer. Wir nehmen einen Liegeplatz mit der kürzesten Distanz zum Sanitärgebäude.
Wir trinken das Einlaufbier und beschliessen, einen Spaziergang zu machen. Der Hafen liegt an einem Ferienkomplex – Hotels und Appartementhäuser wechseln sich ab. Dahinter jedoch liegt ein schöner Sandstrand – der Südstrand. Zwischen den Häusern liegen die kaum noch zu erkennenden Ruinen der Burg Glambeck, die einst den Vitalienbrüdern Unterschlupf gewährte. Unser Weg führt uns rüber an den Burger See. Von hier aus haben wir eine gute Aussicht auf Burg.
Wir kehren in das Restaurant am Yachthafen ein. Wir freuen uns über das gute Essen und besprechen den nächsten Tag. Morgens werden Jenny und Thomas I uns verlassen. Als neuer Skipper wird Willem an Bord kommen. Wir versuchen von Jenny etwas über Willem zu erfahren. Sie erzählt jedoch nicht viel. Ich kann mich noch daran erinnern, dass sie sagt:
„Willem ist Willem. Ihr werdet ihn kennen lernen.“
Für morgen nehmen wir uns die Umrundung von Fehmarn auf dem Wasser vor. Ich bin etwas enttäuscht, dass Jenny uns verlassen wird, und bin gespannt auf Willem. Nach dem Essen gehe ich an Bord, um alleine zu sein. Die anderen bleiben in dem Restaurant und kommen erst viel später laut debattierend zurück. Die Diskussionen gehen geräuschvoll weiter, ich schaffe es aber trotzdem einzuschlafen.
4. Tag: Willem kommt an Bord
Manövertraining in BurgtiefeWir stehen spät auf. Bis wir soweit sind, um auslaufen zu können, ist pottendichter Nebel aufgezogen. Wir beschliessen, in Burgtiefe zu bleiben und Hafenmanöver zu fahren. Wir üben das An- und Ablegen – längsseits, vorwärts, rückwärts, über Achterspring.
Gegen 16:00 Uhr soll Willem kommen. Wir machen in unserer alten Box fest und warten. Willem ist pünktlich. Ich sehe ihn und ahne, dass die guten Zeiten vorbei sind. Wir verabschieden uns herzlich von Jenny und Thomas I. Etwas wehmütig sehe ich dem Auto hinterher. Da der Nebel sich zwischenzeitlich verzogen hat, macht Willem den Vorschlag, auszulaufen und eine Nachtfahrt zu machen. Ich schlucke und schaue auf die beiden anderen Mitsegler. Aber auch bei ihnen bemerke ich keine Begeisterung.
„Wir könnten ja etwas essen gehen.“ Mein Mann versucht die Situation zu retten. Willem ist einverstanden. Ich bin froh, denn eine Nachtfahrt wäre heute das letzte gewesen, was ich hätte machen wollen. Wir gehen ins Restaurant und bestellen das Essen. Das Bier steht auf dem Tisch, und ich freue mich auf ein nettes Gespräch. Willem jedoch greift in seine Tasche, holt einen Haufen Tauwerk heraus und bittet uns, zwei Bändsel zu nehmen.
„Ich würde gerne mein Bier trinken,“ versuche ich ihn zu bremsen.
„Wir üben jetzt Knoten.“
Ich wage nicht, ihm zu widersprechen.
Bis das Essen kommt, üben wir Achtknoten, Kreuzknoten, einfachen und doppelten Schotstek, Stopperstek, Palstek, Webeleinstek. Das Bierglas wird zum Poller.
„Morgen laufen wir um 8:00 Uhr aus und frühstücken auf See.“
„Wir laufen um 10:00 Uhr aus und frühstücken im Hafen“, widerspreche ich.
„Ihr wollt doch segeln lernen, oder?“ erwidert Willem.
„Ja schon, aber nicht unter den Bedingungen.“
„Gut. 9:00 Uhr auslaufen. Frühstücken im Hafen.“
Wiederum wage ich nicht zu widersprechen.
Zurück an Bord, ziehe ich mich sofort zurück. Meine Mitsegler unterhalten sich noch angeregt mit Willem. Sie sind natürlich begeistert. Ich denke mit einigem Unbehagen an den nächsten Tag. Ich ahne, dass es anstrengend werden wird.
5. Tag: Segeltag mit Nebel und Nachtfahrt
Wir laufen am nächsten Tag um 9:00 Uhr aus. Alle sind pünktlich. Ich zeige Willem, wie wenig mir seine Ausbildungsmethode gefällt. Thomas II und mein Mann hören Willem konzentriert zu. Sie nehmen mit Begeisterung alles auf, was Willem ihnen zeigt. Ich hingegen mache zwar mit, aber ohne Freude. Wir wiederholen das bei Jenny Gelernte, aber unter Prüfungsbedingungen. Mein Mann will auf alle Fälle die Prüfung ablegen, Thomas II überlegt noch, ich habe mich gedanklich bereits von dem eigentlichen Vorhaben verabschiedet, äussere das aber noch nicht.
Ich schaue aufs Wasser und sehe den Horizont nicht mehr.
„Was ist das?“
„Scheint Dunst oder Nebel zu sein“, bemerkt Willem.
Mein Mund wird trocken. Ich merke, wie die Angst mich erreicht. Inzwischen ist auch die Sonne bedeckt. Wir sind bereits an Grömitz vorbei und fahren in einiger Entfernung des Lübeck-Gedser-Weges in Richtung Neustadt. Wir hören deutlich die Motorengeräusche der Skandinavienfähren. Der Wind ist zwischenzeitlich eingeschlafen. Wir dümpeln mit wenig Fahrt vorwärts. Schemenhaft gleitet in einiger Entfernung ein anderes Segelboot vorbei. Ich beobachte Willem, der trotz allem ruhig bleibt. Er geht runter in die Navigationsecke und studiert die Seekarte.
Als er wieder oben ist, gibt er Thomas II die Anweisung, das Nebelhorn zu betätigen. Willem sitzt auf dem Cockpitsüll und starrt in den Nebel. Mein Mann sitzt an der Pinne. Nach einer Stunde können wir oben die Umrisse der Sonne erahnen. Es wird klarer, nur direkt über dem Wasser in ca. 2 Meter Höhe hält sich der Nebel. Doch nach einer halben Stunde ist er verschwunden.
Es ist 17:30 Uhr. Ich denke an das Einlaufbier und ein gutes Essen.
„Wir werden eine Nachtfahrt machen.“
„Das ist eine gute Idee“, höre ich meinen Mann sagen.
Thomas II wirft mir einen Blick zu, der sagt: „Tut mir leid, aber ich würde auch gerne.“
Ich gehe nach unten und bekämpfe meinen Hunger mit einigen Müsliriegel. Ich ziehe mich warm an und gehe wieder in das Cockpit und setze mich an Steuerbord unter die Sprayhood vor die Instrumente. Willem packt die Schulterpartie meiner Seglerjacke und zieht mich von den Instrumenten weg. Ich zwinge mich, auf sein Benehmen nicht einzugehen, und schalte ab. Ich bin enttäuscht. Ich nehme mir vor, nach diesem Törn nicht noch einmal ein Segelboot zu betreten. Ich bin froh, dass in der Dämmerung meine Tränen nicht zu sehen sind.
„Das macht er absichtlich“, denke ich.
Ich nehme am Rande wahr, wie er den anderen beiden Mitseglern die unterschiedlichen Befeuerungsarten und deren Kennung erklärt hat – Sektorenfeuer, Richtfeuer, und, und ....
Gegen 22:00 Uhr laufen wir in Neustadt ein und machen längsseits im Kommunalhafen fest. Die Sanitäranlagen sind abgeschlossen, ein Schlüssel ist nicht mehr zu bekommen. Wir machen einige Dosengerichte warm und fallen dann in Koje. Gerne wollen wir noch einen „Absacker“ trinken, unsere Vorräte sind jedoch zur Neige gegangen. Wir wollen dann nur noch schlafen. Vor dem Einschlafen denke ich darüber nach, ob ich weiter segeln werde. Doch ich werde, aber ich bestimme, wie das aussehen wird. Die schönen und entspannenden Momente dieses Törns, obwohl das nur ganz wenige sind, möchte ich nicht mehr missen.
6. Tag: Prüfungstag
Thomas II gibt bekannt, dass er die Prüfung nicht machen wird. Nur mein Mann wird also den Prüfungstermin wahrnehmen. Wir fahren nach Travemünde. Wir haben noch Zeit für mehrere An- und Ablegemanöver. Schliesslich machen wir im Fischereihafen fest. Ein Prüfer vom DSV kommt an Bord, mein Mann muss zu Beginn mehrere erlernte Knoten zeigen. Dann fahren wir ein weiteres Mal über die Trave hinaus auf die Ostsee.
7. Tag: Ankern vor Niendorf
Wir laufen am nächsten Morgen gegen 9:30 Uhr aus. Thomas II und mein Mann sind begeistert. Das Wetter ist schön, die Sonne scheint. Ich nehme mir vor, diesen letzten Tag auch zu meistern. Ich möchte den beiden die Freude nicht nehmen. Große Pötte auf der TraveDer Anker wird runtergelassen. Wir frühstücken auf See, Thomas II hat – wie immer - frische Brötchen geholt. Es steht eine leichte Dünung vor Niendorf, der Bug der Ekke Nekkepen geht auf und ab. Wir sitzen unten im Salon, ich spüre die Bewegung des Schiffes. Vor dem Fenster sehe ich, wie der Horizont sich auf- und abbewegt. Der Geruch der frischen Brötchen ruft bei mir Übelkeit hervor. Ich gehe nach oben an die frische Luft. Die Mitsegler lassen sich Zeit. Mir geht es draussen schnell besser. Thomas II ist heute für die Backschaft zuständig. Nachdem das erledigt ist, fängt harte Arbeit an.
Ich weiss nicht, wie oft wir den Anker runterlassen und raufholen. Die Ankerwinde ist defekt, so dass dann auch langsam unsere Muskelkräfte schwinden. Als wir alle nicht mehr können, fahren wir unter Motor wieder rein. Wir fahren an der Marina Baltica vorbei, vorbei an den Anlegern der RoRo-Fähren, ein Stück in die Trave Richtung Lübeck. Die Pötenitzer Wiek liegt an unserer Backbordseite, vor uns erscheinen Fähren in imposanter Grösse, die über die Trave schleichen wie fahrende Hochhäuser. Letzte Manöver in der AbendsonneWillem erklärt uns hier die Propellerwirkung des Motors. Wir sollen versuchen, in Rückwärtsfahrt das Schiff geradeaus zu steuern. Keiner von uns schafft es, Willem auch nicht. Ich sehe ihm an, dass er es uns gerne gezeigt hätte. Ich erzähle ihm, dass wir später mit unseren Hunden segeln wollen. Er sagt:
„Das kannst du vergessen. Das geht nie.“
„Jetzt erst recht. Danke Willem.“, denke ich.
Wir fahren zurück zur Marina Baltica und machen fest. Wir packen unsere Sachen und bringen sie zum Auto. Danach reinigen wir das Schiff. Ich entdecke, dass der Salontisch aufgeklappt werden kann, und finde Vorräte, die wir vor zwei Tage gut hätten brauchen können – Sherry, Rum, Wein. Wie gut hätte uns ein heisser Grog getan.
Wir verabschieden uns von Willem. Thomas II und mein Mann wollen Kontakt mit ihm halten über Email. Jeder bekommt seinen Rat für sein weiteres seglerisches Leben – auch ich.
„Du musst noch etwas aktiver werden, dann wird das schon gehen“, sagt er zu mir.
Ich lächle ihn an, obwohl mir nicht danach ist. Gerne hätte ich seinem Seesack einen Tritt versetzt, steige dann aber doch über ihn hinweg und verlasse wortlos den Steg. Ich umarme Thomas:
„Wir sehen uns.“
Thomas wird uns noch auf mehreren Törns begleiten, bis der Kontakt dann irgendwann ganz abbricht.
Wenn ich heute über diesen Törn nachdenke, habe ich grosses Glück gehabt, auf zwei so ganz unterschiedliche Skipper gestossen zu sein. Jenny hat mir die angenehmen Seiten des Segelns gezeigt, und Willem lehrte mich, dass es auch harte Tage gibt, die man durchaus meistern kann. Das Segeln habe ich erst später gelernt.
Mein Dank geht an beide!
(Februar 2006 / Renate Lorenzen - veröffentlicht auf www.ostsee-portal.info)